Das Radeln neu gelernt im Wald

Bio oder elektrisch?!

Radeln – ob elektrisch oder biologisch, diese Frage spaltet seit Jahren die zwei Lager nicht nur bei den Mountainbikern. Wer hat recht, was ist besser und warum nicht beides? Auch in der Redaktion sind wir gespalten, GIANT hat uns ein E-Bike geliehen und wir haben uns auf die Suche nach Sinn oder Unsinn, Nutzen oder Status gemacht.

Das passt zu Deinem Alter, frotzelt der Kollege und bekennender nicht-E-Biker vom Schreibtisch gegenüber. Doch wer mit dem Gedanken spielt sich ein neues Radl anzuschaffen kommt am E-Bike Hype nicht vorbei. 2020 wurden über 2 Millionen E-Bikes verkauft. Selbst wer keins braucht hat eins – schon weil der Nachbar eins hat – der auch keins braucht. Hersteller sind sich unisono einig das die mechanischen Zeiten für immer vorüber sind.

So wie einst die Lokomotive vom Dampf auf Elektrizität umgestellt wurde wird heute der Mensch von eigenständiger Bewegung auf E-Konsum justiert. Heute sieht man in der Stadt übergewichtige Hipster in Hochwasserhosen auf batteriebetriebenen Kinderollern, Helm- und Gehirnfrei am Straßenverkehr teilnehmen. Beim aktuellen Stand der technischen Entwicklung ist es offensichtlich nicht mehr en vogue sich per pedes fortzubewegen. Kinder konnte man früher schieben heute benötigt man dazu ein elektrisches Lastenrad. Das Zweirad als Ersatz fürs Auto in der Stadt nichts neues, und wird seit Jahrzenten von vielen Menschen gelebt. Dank einer am Velo angebrachten Batterie kann man nun auch Schweissfrei am Büroalltag teilnehmen, die Kollegen werden es einem Danken.

Bist du deppert!

“Bist Du deppert, was ist das denn für ein Monster”. GIANT hat uns das TRANCE X E+1 für unseren Test zur Verfügung gestellt – es ist eine Tretenduro mit Reifen, die man auch beim lokalen Motorradhändler nachkaufen könnte. So zumindest ist der erste Eindruck als wir den Boliden aus seinem Karton zerren. Was wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen, wir haben das Radl den ganzen Sommer. Üblich sind ein paar Wochen, ein Umstand, der uns zugutekommt. Wir erleben alle Phasen von der anfänglichen Euphorie – wie schnell man den Berg hinaufkommt, der Langeweile – weil man schon überall war bis hin zur Erkenntnis das ein E-Bike doch gar nicht so schlecht ist.

Insgesamt fahren wir ca. 1.500km auf diversen Touren von Mai bis Oktober. Startpunkt ist immer unsere Redaktion. Wir bewegen uns dabei in Richtung Benediktenwand, über Lenggries zum Walchensee, Kochel und Ohlstadt, Blomberg und Zwiesel. Die Touren führen nach Eschenlohe und Murnau und wir genießen die Abfahrten auf der Kesselbergstrasse nach Kochel.

Euphorie!

Die Anfangseuphorie ist gross, trotzdem schleicht man als Old-School-Radler erst einmal um das Teil herum wie die Katze um den Thunfisch. Eigengewicht 25kg, zugelassenes Systemgewicht 156kg, sind Werte die der Kollege schmunzelnd aus den technischen Daten vorliest. “Spinnst, am besten noch einen Ersatzakku und Radltaschen, das ‘wär wie mit einem Hollandrad den Berg ‘runter rumpeln”.

Eigentlich bräuchte das Teil Bremsen vom Motorrad fügt er spöttisch hinzu während er das Gesicht verzerrt beim Versuch das Radl anzuheben. Also los – analog und digital in Richtung Walchensee. Wer das Erste Mal auf einem E-Bike sitzt kann es kaum glauben. Es schiebt. Es erinnert an die Zeit, als man als Kind noch am Gepäckträger geschoben wurde. Ein bisschen treten, und schon gehts vorwärts, wie beim Mofa, nur halt mit Strom. Bei 25km/h kommt der Begrenzer, der stört nur in der Ebene, den Berg hinauf werden das die wenigsten erreichen. Sobald sich der Motor abschaltet, herrscht Stille, lediglich das Abrollgeräusch der Reifen ist zu hören. Wir empfinden den Antrieb als recht laut und das Konzept von Motor & Natur scheint sich an manchen Stellen selbst etwas im Weg zu stehen.

Analog wird noch gepumpt!

Während man oben am Berg froher Dinge leicht angeschwitzt nach seiner Trinkflasche sucht wird in der analogen Abteilung noch gepumpt. Als die Bio-Nachzügler endlich mit angestrengten Gesichtern über die Kuppe strampeln haben sie auch gleich ein paar Kosenamen für die wartenden Kollegen. “Kannst ja glei mit’m Bus fahren” oder “Seilbahnfahrer”. Unsere Gegenfrage “wo warts denn so lang” oder “war da a Bäckerei am Weg, des hab’n wir garnicht gesehen” werden mit rollenden Augen quittiert. “Wart bis deine Batterie leer ist, dann sehn wir schon”, wie recht sie damit haben werden zeigt sich an einem anderen Tag.

Gerade auf etwas längeren Passagen, kann einem im Hochsommer schon mal die Puste ausgehen. Wenn sich dann Schweissfrei eine Gruppe elektrischer an einem vorbeischiebt, die es ohne Antrieb nicht mal die Parkplatzunterführung hochgeschafft hätten – kann man schon mal ausrasten. Obwohl uns gegenüber den ganzen Sommer niemand ausrastet, reiben sich die Medien immer wieder am “überlaufenem Oberland” und es die Rede von “Rowdies” “E-Grattlern” und ähnlichen Kämpfen zwischen gehender und fahrender Bevölkerung. Uns ist dergleichen nicht im Übermaß aufgefallen, ein paar sind sehr schnell unterwegs das stimmt – die Mehrheit, wir reden von 99% verhält sich sozial verträglich. Wer langsam von hinten auf Wanderer heranfährt und anstatt zu klingeln oder scharf zu bremsen einfach mal “Servus” oder “klingeling” ruft wird in 99,90% der Fälle gerne vorbeigelassen. Ein freundliches Gesicht in Verbindung mit einem ebensolchen Gruß sorgt im Allgemeinen für Sympathie und sollte zum guten Umgang gehören.

Andere Zeiten…

Vorbei die Zeiten als man mit einigen wenigen auf einer Alm saß – die eben nur von einigen wenigen – befahren werden konnte. Bei einem Kaltgetränk seiner Wahl ratschend inmitten von Fremden die der gegenseitige Respekt verband. Es war ein Stammtisch deren Stammtischbrüder und Schwestern sich täglich neu zusammensetzte, wer strampelnd über den Horizont kam wurde anerkennend gegrüßt und setzte sich mit an den Tisch. So ergab sich eine Gruppe, die immer wieder irgendwo zusammentraf und sich dabei ständig neu mischte. Auch das Schieben war keine Schande, sondern zeigte dem Fahrer lediglich fehlenden Beinschmalz oder zu wenig Fahrtechnik an – man musste halt nochmal nachbessern, das war ganz normal.

Alpinismus und Alpentourismus

Seit dem E-Bike gehört so etwas der Vergangenheit an. Heute muss man sich Strecken nicht erarbeiten, sie werden konsumiert. Aus Alpinismus wurde der Alpentourismus, solange der Akku hält gehts bergauf. Da ist auch schon das Erste Problem. Mit dem E-Bike fahren wir Strecken die wir – ganz ehrlich – beim aktuellen Stand unserer Kondition – niemals hinaufgekommen wären. Wer oben ist muss auch wieder hinunter, dort liegt für viele Fahranfänger oder Wiedereinsteiger die erste nicht ungefährliche Hürde. Runter gehts zwar immer, aber man muss schon fahren können, braucht entsprechend Übung. Die Annahme das man ja eh Scheibenbremsen habe ist durchaus korrekt – wie schnell selbige heiß werden aber den meisten Fahrern nicht bewusst. Im schlechtesten Fall verglasen die Beläge, die Bremse hat keine Reibewirkung mehr und wird wirkungslos.

140kg schieben brachial Bergab!

Bergab stellt man fest das über 140kg ganz schön schieben, und während man mit am Boden schleifenden Schuhen und schreienden Bremsen in Richtung Tal rutscht, zaubert das jedem entgegenkommenden ein spöttisches Lächeln auf die Lippen. Wir unterbrechen unsere Angstbremserei zu Beginn bei Gegenverkehr gerne in dem wir anhalten, überschwänglich Platz machen oder umständlich nach der Trinkflasche suchen. So ist aller Anfang, oder vielmehr Wiederanfang schwer und man kommt schnell darauf, dass es nicht nur ums Hochfahren geht, sondern auch ums Runterkommen. Hand aufs Herz, der ein oder andere Berg wird hinuntergeschoben, das ist keine Schande, lieber einmal zu Fuß als den Rest der Tour im Helikopter.

Das E-Bike ermöglicht es das sich verschiedene Altersgruppen mit unterstützter Leichtigkeit bewegen können. Wer wann mit wie vielen Akkus wohin fährt sollte dem einzelnen doch wurscht sein. So machen Pärchen Ausflüge wieder Spaß, der Mann kann dank elektrischer Unterstützung endlich mit seiner durchtrainierten Frau mithalten.

Als wir Bad Tölz in die Jachenau fahren sind bereits zwei der fünf LEDs erloschen und wir diskutieren, ob wir überhaupt bis an den Walchensee kommen. Wir schaffen es an den See, der usrpünglich geplante Weg ist wegen eines Erdrutsches gesperrt. Wir fahren durch die Absperrung, eine andere Option gibt es nicht, notfalls wollen wir schieben, versuchen die Stelle zu umgehen – der Akku ist fast leer. Für die Umfahrung über Einsiedel um den See herum reicht die Kapazität nicht mehr.

Akku leer am Kesselberg.

Die Stelle kann umgangen werden, als wir den Kesselberg herunterrollen haben wir ein Rest-LED auf der Anzeige. Von Kochel nach Bichl wird das nicht mehr reichen, in Benediktbeuern blinkt es, dann ist der Antrieb weg. Jetzt muss getreten werden, der Weg geht fast nur Bergab, sonst wäre es kaum möglich voranzukommen, das ganze gleicht etwa ein Motorrad, das man versucht mit Pedalkraft voranzubringen. Wir schaffen es zurück sind aber erst einmal von der Reichweite unbeeindruckt. Die Angaben sind natürlich rein theoretisch. Es sei erwähnt das sich die Reichweite mit steigender Kondition erhöht, und mit zunehmender Fitness lassen sich immer größere Entfernungen fahren.

Akku zu wenig Reichweite

An einem anderen Tag stehen wir unterhalb der Benediktenwand – links geht es zurück in Richtung Lainbachtal, rechts nach Lenggries. Der Vorschlag wir könnten über den Sylvenstein fahren und dann nach Garmisch – ein schöner Gedanke. Es ist unter der Woche, das Wetter gut, die Strecke der Traum eines jeden Radlers – nur die Entfernung jenseits jeglicher Akkuleistung. Eine Einschränkung, die in diesem Moment unsere Gruppe spaltet. Die Analogen wollen sich den wunderschönen Tag – zurecht – nicht entgehen lassen und fahren weiter. Die Elektrische Fraktion kehrt trotz halbvoller Akkus leicht frustriert zurück in die Redaktion. Als der Rest der Truppe abends eintrifft und enthusiastisch von der traumhaften Tour erzählt fragen wir uns, wieviel Radl wirklich im E-Bike steckt. Draufsetzen und losfahren, soweit einen die Radl-Wadln tragen, einen Finger breit Luft unter der Felge, Regen, Sonne, Wind, die Natur genießen, einfach Fahren, einfach mal raus, zurück zu sich selbst, allein oder gemeinsam.

Stress gibts kostenlos dazu.

Der Stromer erzeugt Stress, den man vorher nicht hatte. Auch wenn dieser mit zunehmender Kenntnis der Reichweite weniger wird bleibt er doch vorhanden. Denn wer die die Ladeanzeige nicht im Auge hat endet zwangsläufig am nächsten Bahnhof oder versucht im ersten Gang nachhause zu fahren. Für eine Weltumradelung ist es das falsche Sportgerät und es bleibt, einen Hänger voll mit Akkus mitschleppen ist keine Alternative.

Für die meisten Menschen ist es ausreichend, bleibt dennoch ein Tauschgeschäft: Freiheit gegen Bequemlichkeit. Irgendwo in den Bergen bei Bad-Tölz endet abprubt ein Weg und es muss nach unten über einen verrosteten Stacheldrahtzaun gehoben werden. Das klingt einfacher als es dann tatsächlich ist, eine rechte Plackerei, das Radl ist schwer, unten nur ein wacklicker Baumstumpf. Es dauert eine gefühlte Ewigkeit, der anschließende Weg entpuppt sich als Trampelpfad, der ohnehin nicht befahrbar ist. Das hohe Eigengewicht macht das Überwinden mancher Stellen fast unmöglich, gut wer seine Route ordentlich plant.

Fazit:

Wir haben mit dem E-Bike unsere Nachbarschaft neu kennengelernt, sind auf Almen gefahren, die wir sonst bestimmt nicht so schnell erklommen hätten. So haben wir um Ecken geschaut und waren von der Schönheit der Natur verzaubert, von Bergen, Wiesen und Tälern. Nette Menschen durften wir kennengelernen, die mit- und ohne Antrieb unterwegs waren. Trotz oder gerade wegen des elektrischen Antriebes haben wir Kondition aufgebaut.

An schlechten Tagen sind wir unsere Strecken gefahren, wenn auch auf höchster Unterstützung. Im Wald haben wir den Antrieb abgeschaltet und die Magie des Moments genossen. Wir durften das Radeln neu lernen, haben unsere Fahrsicherheit verbessert, uns mehr getraut, weniger Bremsen verschlissen. Nach einigen hundert Kilometern haben wir die Abfahrten genossen, Wandern den Weg erklärt, den wir vor einigen Wochen selbst nicht kannten. Die Welt haben wir neu entdeckt, sind über uns hinausgewachsen, haben geflucht, geschwitzt und debattiert, Reifen aufgepumpt, das Monster über Hänge gezerrt und geschoben. Es war ein wunderbarer Sommer, der ohne elektrische Unterstützung so nicht möglich gewesen wäre. Danke an GIANT.

Ob als Erst- oder Zweitbike bleibt jedem selbst überlassen. Ja es stimmt schon, für Vielfahrer ist es keine Alternative, weil es dafür zu sehr einschränkt. Für Gelegenheitsfahrer ist es ideal, wer mit dem Gewicht umgehen lernt kann jede Menge Spaß haben und die Welt neu erkunden. Es ist ein Fortbewegungsmittel unserer Online-Zeit – es bleibt mit der Reichweite On-geleint wie an einer unsichtbaren Schnur.

Links:

Radl: Giant Trance X E+
Wikipedia Ebike Definition

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